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Lösungen für flexible Wertschöpfungsketten

Die Zuverlässigkeit von Lieferketten hat sich durch die Corona-Pandemie zu einem der Top-Themen entwickelt. Über allem schweben Unwägbarkeiten von Handelskonflikten und Grenzschließungen. In der Werkzeugmaschinenbranche ist die Frage nach der Resilienz von Wertschöpfungsketten eng mit Digitalisierung und Vernetzung verbunden. Diese Themen werden bei der METAV digital vom 23. bis 26. März im Vordergrund stehen.

Eine Studie der TU München kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass sich die Strukturen weltweiter Lieferketten in Zukunft „dramatisch verändern werden“. Es sei wichtig, in künftigen Krisensituationen in der Lage zu sein, alternative Lieferanten zu haben und ausweichen zu können. Der Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW), sieht die eigene Branche nicht unter Handlungsdruck. „Die Unternehmen besitzen entweder eine sehr hohe Wertschöpfungstiefe oder sie kaufen bereits überwiegend in Deutschland ein“, erklärt VDW-Geschäftsführer Dr. Wilfried Schäfer. Wegen der hohen Qualitätsstandards der Branche gab es zwar durchaus Ausfälle bei Komponenten und Rohmaterial aus China oder dem südlichen Europa, man habe aber Kompensationsmöglichkeiten über andere Lieferanten gefunden.

Das unterstreicht Benjamin Eichinger vom Würzburger Unternehmen Scoutbee: „Es gibt Schocks, aber auch Tools, die helfen.“ Scoutbee ist auf digitale Lieferantensuche spezialisiert. Das Unternehmen bedient sich künstlicher Intelligenz (KI) und Big Data, damit Kunden in Milliarden von Datensätzen nach Produkten und geeigneten Lieferanten fahnden können. Durchforstet werden tiefgreifende Marktinformationen, darunter Finanzzahlen, Expertisen zur Nachhaltigkeit oder aktive Zertifizierungen, sprachübergreifend und in Echtzeit, um sämtliche aktuelle und potenzielle Lieferanten weltweit zu identifizieren. Dauert eine manuelle Suche üblicherweise Wochen oder Monate, so Eichinger, sind es digital allenfalls Tage. Durchschnittliche Zeitersparnis nach Kundenerfahrungen: 85 Prozent.

Scoutbee verzeichnete 2020 einen sprunghaften Zuwachs an Aufträgen und Kunden, darunter auch Werkzeugmaschinenhersteller. 2015 gegründet und erst seit zwei Jahren auf dem Markt beschäftigt das Unternehmen mehr als 130 Mitarbeiter. Der virtuelle Stand während der METAV digital 2021 ist gebucht. Eichinger bestätigt, dass derzeit Lieferanten „in der Nähe“ bevorzugt werden. Globale Strategien seien zurückgefahren worden. Doch ausgelöst hat die Suche nach neuen Lieferanten nicht unbedingt Corona. Auch Qualitätsmängel oder die Reduzierung von Lieferkosten spielen bei gewünschten Veränderungen eine Rolle.

Lieferanten einbeziehen

Sich gegen Überraschungen und mögliche Ausfälle zu wappnen, gehört für Werkzeugmaschinenhersteller zum Geschäft. „Grundsätzlich hat sich an unserer Einkaufsstrategie nichts geändert“, sagt Manfred Maier, Chief Operating Officer (COO) der Heller-Gruppe, Nürtingen, zu möglichen Konsequenzen aus der Corona-Pandemie. Die Heller-Gruppe entwickelt und produziert CNC-Werkzeugmaschinen und Fertigungssysteme für die spanende Bearbeitung.

„Wir setzen auf die hohe Qualität und Zuverlässigkeit unserer vornehmlich europäischen Lieferanten“, betont der COO. Dass diese zunehmend Wertschöpfungsanteile in Niedriglohnländer verlagern, um Kostenvorteile zu erzielen, räumt Maier durchaus ein. Aus demselben Grund wird bei Heller Eisenguss aus Asien bezogen. Ein Problem sieht er darin nicht: „Generell gilt das Ziel einer Dual-Sourcing-Strategie, in einigen Warengruppen auch Multiple-Sourcing-Strategie, etwa wegen der Komplexität von Baugruppen.“

Nach Maiers Angaben ist die Materialversorgung 2020 insgesamt auf einem sehr hohen Niveau geblieben, trotz Kurzarbeit bei der überwiegenden Zahl der Zulieferer. „Wir haben rechtzeitig kritische Lieferanten in die Planung unserer Bedarfe mit aufgenommen, die jeweils monatlich aktualisiert verschickt werden.“ So können sich Lieferanten auf Bedarfsschwankungen einstellen und die Materialversorgung gewährleisten.

Um kritischen Entwicklungen vorzubeugen, seien zudem alle strategischen und operativen Einkäufer angehalten, ihr „Ohr am Lieferanten“ zu haben. Da werde in täglich stattfindenden Gesprächen nachgefragt, „mit Fingerspitzengefühl“, wie Maier betont. Über die Qualität von Zulieferern gebe die Qualitätskennzifferquote Auskunft, die die Lieferantenzuverlässigkeit sowie auftretende Reklamationen in einer Quote vereint.

Aus einfachen Lieferketten werden durch Industrie 4.0 komplexe Wertschöpfungsnetzwerke. Foto: Heller

Vertrauen und Kooperationen

Die Struktur einer Branche spielt für die Art von Lieferantenbeziehungen eine Rolle. Aus einer Studie der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services, Nürnberg, über Wertschöpfungsketten in der Automationsbranche geht hervor, dass kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) bei benötigten Produkten und Dienstleistungen eher regional aufgestellt sind. Sie setzen bevorzugt auf langjährige und vertrauensbasierende Kooperationen. Großunternehmen beschaffen die benötigten Waren tendenziell auf einer globalen Basis, suchen Wege durch komplexe Strukturen, erheben validierbare Kennziffern und planen vorausschauende Steuerungsmechanismen.

Mit zunehmender Automatisierung können sich auch KMU einer wachsenden Komplexität der Lieferbeziehungen kaum entziehen, belegt die Studie. Aus dem einfachen „Order-to-Payment-Prozess“ früherer Zeiten, der nur innerhalb eines einzelnen Unternehmens abläuft und sich von Unternehmen zu Unternehmen in einer Kette zusammenfügt, wird ein komplexes Netz.

Maschinen, Förderanlagen, Roboter, Steuerungen und Softwarekomponenten werden verknüpft und mit Marketing, Vertrieb und Distribution verbunden. Der Unternehmenserfolg ist zudem immer stärker abhängig von begleitenden Dienstleistungen über den gesamten Lebenszyklus einer Lösung, einschließlich (Fern-)Wartung, Reparatur und Entsorgung. Dafür müssen externe Experten und Spezialisten hinzugezogen werden. Das Ganze potenziert sich in der digitalen Welt über cyber-physische Systeme, also Systeme, bei denen informations- und softwaretechnische mit mechanischen Komponenten verbunden werden.

Komplexitätstreiber Kunde

Der größte Komplexitätstreiber, sagt Andreas Gützlaff, Leiter der Abteilung Produktionsmanagement im Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen, seien oft die Kunden. Individuelle Kundenwünsche erfordern mehr Produktvarianten, die zu komplexen Produktportfolios führen und sich unmittelbar auf Konstruktion, Planung, Lieferkette, Produktion und Vertrieb auswirken. Die Komplexität dieser Entwicklung verlangt nach Transparenz und einem neuartigen Datenmanagement, erklärt Gützlaff. Am Ende gehe es um die einfache, aber existenziell wichtige Frage: „Wo verdiene ich und wo verliere ich Geld?“

In den komplexen Wertschöpfungsnetzen schlummern nach Erkenntnissen des WZL nicht nur (Kosten-)Risiken, sondern auch Effizienzgewinne. „Durch eine gesteuerte Komplexität lassen sich Einsparungen bis zu 15 Prozent im Betriebsergebnis realisieren“, weiß Gützlaff aus Erfahrungen der Unternehmen, mit denen das WGP-Institut WZL zusammenarbeitet.

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