Management
„Messy Efficiency“: Mut zur Effizienz der Chaoten
Vordenker aus Industrie und Forschung vertreten bei der digitalen Veranstaltung „Science in the Age of Experience“ von Dassault Systèmes neue, nachhaltige Wege in einer von Klimakrise und Coronavirus geprägten Welt. Auf großes Interesse stößt der Begriff „Messy Efficiency“ (Effizienz der Unordnung) für nachhaltiges Engineering, den Dr. Guru Madhavan von der National Academy of Engineering mit Sitz in Washington vertritt. Im Exklusivinterview erfuhr der Wissenschaftsjournalist Nikolaus Fecht, warum der Ingenieur für biomedizinische Systeme überraschenderweise die Form der „Messy Efficiency“ als einen Weg für nachhaltige Produktion und Produktivität sieht.
Sie beschreiben eindrucksvoll, dass Maßnahmen zur Eindämmung der Ebola-Pandemie zunächst scheiterten, weil sie unter anderem Beerdigungsrituale außer Acht ließen, mit denen Infektionen weitergegeben wurden. Deshalb empfehlen Sie nun in der Corona-Pandemie eine Art unorganisierter Effizienz, die das individuelle Verhalten aller Beteiligten berücksichtigt und auf Vertrauen aufbaut. Wie könnte die Idee auf die nachhaltige Fabrik der Zukunft angewendet werden, wenn dort eine Effizienz der Unordnung angewandt wird?
Madhavan: Die Antwort ist nicht ganz einfach. Typischerweise will ein Ingenieur den Kundenbedürfnissen, Marktzielen oder wissenschaftlichen Anforderungen gerecht werden. Die Messy Efficiency soll hingegen die wertebezogenen Beziehungen einer Konstruktion vermitteln. Es geht darum, die Bedürfnisse aller Menschen zu erfassen, die in irgendeiner Weise von der Fabrik und ihren Produkten betroffen sind. Die Fabrik von morgen ist keine völlig neue Idee. Sie geht über die reine Erfüllung der Kundenbedürfnisse hinaus. Sie befasst sich auch mit den Belangen verschiedener Interessengruppen.
Dies ist eine Entwicklung im Dialog. Daher müssen wir die Menschen, die von den konstruktionsbezogenen Entscheidungen berührt werden, in die Fabrik bringen. Das mag provozierend klingen, aber dieser unerlässliche Dialog ist entscheidend. An diesem Punkt geht Effizienz über Zahlen hinaus. Die Zusammenarbeit mit den Interessengruppen ist nicht länger optional oder eine vordergründige Maßnahme. Aktuell haben wir viele Fokusgruppen, die sich in erster Linie damit befassen, wie die Anwender die Technologie nutzen. In komplexen Systemen sind wir aber nicht mehr nur Anwender. Wir sind mehr als das, wir sind ein Teil der Beziehungen.
In diesem Zusammenhang sprachen Sie auch von der Informationskatastrophe: Wie gehen Sie mit zu vielen oder zu wenigen Daten um?
Madhavan: Wir alle sind Opfer und Nutznießer der Informationen, die wir produzieren und konsumieren. Eine Schätzung besagt, dass die Informationsmenge letztendlich die Anzahl der Atome im Universum übersteigen wird. Sicher, künstliche Intelligenz, also KI, kann in Szenarien mit Datenmangel oder Datenüberschuss von Nutzen sein. Was meiner Ansicht nach am meisten zählt, ist die Verlässlichkeit und Verantwortlichkeit beim Umgang mit KI. Das können Sie an den Simulationen von Covid-19 sehen. Wenn die Menschen den Ergebnissen nicht trauen, bekommen wir ein gravierendes Problem.
Wir müssen die Menschen, die von konstruktionsbezogenen Entscheidungen berührt werden, in die Fabrik bringen. – Dr. Guru Madhavan
Wie hat die Corona-Pandemie Ihre Auffassung von nachhaltiger Produktion verändert? Leben wir in einem Zeitalter existenzieller Probleme?
Madhavan: Wir sollten nicht nur über nachhaltige Produktion sprechen, sondern vielleicht auch über nachhaltige Produktivität. Es geht auch um unser Verständnis und die Qualität von Arbeit. Videokonferenzen haben wirksam dazu beigetragen, miteinander in Verbindung zu bleiben und während der Pandemie weiterzuarbeiten. Das betrifft die technische Unterstützung von Arbeit. Doch die Wahrnehmung von Arbeit bleibt eine offene Frage. Hier stellen sich existenzielle Fragen.
Engineering mit Gefühl: Gefragt ist ein neues Ingenieurwesen mit mehr Sensibilität für Technik, dem die eingesetzten Systeme mehr Selbstvertrauen und Fähigkeiten verleihen.
Foto: Dassault Systèmes
Ist dann ein neues Vorgehen mit einem weiterreichenden, ganzheitlichen Ansatz notwendig?
Madhavan: Ja. Und das ist etwas, was mir persönlich wichtig ist. An der National Academy of Engineering fördern wir eine breitere, integrierte Sicht der Technik, die über einen engen technologischen Rahmen hinausgeht. Dazu gehört die Kultivierung einer informierten Sensibilität, die sich verantwortungsbewusst mit der Technologie auseinandersetzt. Letztlich geht es um die Verwirklichung einer besseren Verbindung aus Kompetenzen, Fähigkeiten und Charakter für die Ingenieurwissenschaften in Praxis und Beruf.
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Carola von Wendland
PR and Communications Senior Manager, EuroCentral
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