
Management
Durch Diversität produktiver und kreativer
Diversität ist in der Arbeitswelt nicht nur ein Schlagwort, sondern ein entscheidender Faktor für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmen, die Vielfalt aktiv fördern und leben, profitieren von einem breiteren Spektrum an Perspektiven, Ideen und Talenten, was sich positiv auf ihre Leistungsfähigkeit und ihren Erfolg auswirkt. Die Walter AG in Tübingen zeigt sich bei diesem Thema besonders verantwortlich. Mirjam Dreisörner ist seit 2022 als Head of Product Management tätig. In dieser Funktion trägt sie die Gesamtverantwortung für das Produktportfolio des Zerspanungsspezialisten, das Präzisionswerkzeuge zum Fräsen, Drehen, Stechen, Bohren und Gewinden sowie individuelle Sonderwerkzeuge und Technologielösungen umfasst. Dreisörner führt ein Team von 29 Mitarbeitern, wobei der Frauenanteil aktuell gering ist. Wie geht Dreisörner mit ihrem Selbstverständnis als Frau in einer technischen Führungsposition um? Wie sieht sie die Bedeutung von Diversität in Teams? Ihre Antworten im Interview bringen Einblicke in die Herausforderungen und Chancen, die mit der Förderung von Vielfalt in dem traditionell von Männern dominierten Industriezweig einhergehen.
Walter setzt bereits seit einigen Jahren auf Diversität, besonders auf die Förderung von Frauen. Hat das für Sie eine Rolle gespielt, als Sie sich für Walter entschieden haben?
Dreisörner: Um offen zu sein, habe ich während der Bewerbungsphase nicht darauf geachtet. In den Gesprächen mit dem Walter Management habe ich aber bemerkt, wie positiv und aktiv die Verantwortlichen mit dem Thema Diversität umgehen. Das hat mich darin bestärkt, dass Walter und ich gut zusammenpassen. Nach zwei Jahren als Leiterin des Produktmanagements weiß ich, wie ernst das Thema hier genommen wird, und auch, dass wir gerade in den technischen Berufen noch diverser werden müssen. Daran arbeite ich auch in meinem Team.
Wo sehen Sie die größten Hürden für Frauen in technischen Berufen?
Dreisörner: Da gibt es mehrere Aspekte. Einiges hat man als Unternehmen auf der Suche nach Mitarbeiterinnen aber auch nur bedingt in der Hand. Die Berufswahl ist gerade in Deutschland noch immer stark von Klischees bestimmt, so dass Mädchen und junge Frauen bereits in der Schule weniger oft naturwissenschaftlich-technische Fächer und Felder wählen – die berühmten MINT-Fächer. Ich selbst bin als Abiturientin auch nicht auf die Idee gekommen, etwas Technisches zu studieren, sondern habe mich für Betriebswirtschaftslehre, also BWL, entschieden.
Als ich dann als Berufsanfängerin eher zufällig bei einem sehr technisch orientierten Unternehmen eingestiegen bin und mir das viel Spaß gemacht hat, habe ich gedacht, Wirtschaftsingenieurin wäre doch auch eine gute Idee gewesen. Andererseits kann ich mit meinem Berufsweg jüngeren Frauen glaubwürdig vermitteln, dass für sie selbst auch ohne Ingenieurs-Abschluss eine Karriere in stark technisch orientierten Bereichen oder Unternehmen möglich ist. Bei einem Unternehmen wie Walter macht sich die relativ niedrige Anzahl von Mädchen in den schulischen MINT-Fächern und weiblichen Studierenden an den Hochschulen dann dadurch bemerkbar, dass sich auf ausgeschriebene Stellen erst gar keine Frauen bewerben. Dazu kommt noch, dass sehr viele Studierende sich bestenfalls schemenhaft vorstellen können, was ein Zerspanungslösungsanbieter eigentlich so macht. Für andere technisch hochspezialisierte Unternehmen gilt das auch.
Das heißt, Frauen sollten einfach mutiger sein und sich auf solche Stellen bewerben?
Dreisörner: Es gibt viele Studien dazu, dass Frauen in Bezug auf ihre eigenen Kompetenzen und Potenziale viel kritischer sind als Männer. Das ist falsch. Deswegen rate ich Frauen, sich auch dann zu bewerben, wenn sie nicht alle Kästchen des gesuchten Jobs abhaken können. Viele Unternehmen würden sich freuen, wenn sich mehr Frauen bewerben würden.
Man muss aber auch klar sagen, dass es Frauen in männerdominierten Berufsfeldern häufig immer noch schwerer haben als Männer mit vergleichbaren Qualifikationen. Auch dazu gibt es Studien. Vorgesetzte suchen – meistens ganz unbewusst – nach ihrem jüngeren Ich in Bewerbungsverfahren. Und da ist Geschlecht leider immer noch ein ausschlaggebender Faktor. Deswegen gibt es gerade ab einem gewissen Führungslevel in vielen Unternehmen mehr Menschen, die Thomas heißen, als Frauen insgesamt.
Link zu Frau und Beruf: Warum der Thomas die Sabine nicht befördert
Gerade ab einem gewissen Führungslevel gibt es in vielen Unternehmen mehr Menschen, die Thomas heißen, als Frauen insgesamt.
frauundberuf-bw.de
Wie sollten Frauen mit diesen strukturellen Nachteilen umgehen?
Dreisörner: Hier wünsche ich mir vor allem eine kritische Selbstreflexion der männlichen Führungskräfte. Unternehmen geben sich Diversity-Ziele ja vor allem, weil diverse Teams produktiver und kreativer sind. Um mehr oder vielleicht sogar überhaupt erstmal Frauen ins Team zu bekommen, hilft es sehr, sich klarzumachen, was man selbst möglicherweise bisher dazu beigetragen hat, dass es keine Frauen im eigenen Bereich gibt. Dann geht man an die nächste Stellenbesetzung anders heran. Deswegen sind offensiv kommunizierte Diversity-Programme, wie sie zum Beispiel Walter hat, auch so wichtig und sinnvoll. Dadurch werden nicht nur die Frauen gestärkt. Die Unternehmensleitung kommuniziert damit auch an die Männer, dass Diversität in Teams etwas grundlegend Wichtiges ist und man darauf achtet. So bewegt sich dann etwas.
Wie sehen Sie Ihre Rolle bei Walter in Bezug auf die Selbstverpflichtung zu mehr Diversität?
Dreisörner: Ich sehe mich in einer doppelten Funktion. Als Führungskraft bin ich dafür mitverantwortlich, dass wir diverser werden und unsere Strukturen auch tatsächlich so ausrichten, dass Diversität auch möglich ist. Sonst kommt man sich schnell als Exotin vor. Das merke ich an mir. Als Leiterin des Produktmanagements bin ich manchmal noch die einzige Frau in Workshops oder Besprechungen. Da ist es nicht immer einfach, eine andere Perspektive einzubringen. Aber wenn eine andere Frau dabei ist, laufen die Diskussionen ganz anders! Eine kritische Masse ist entscheidend, um die positiven Effekte von Diversity zu realisieren. Frauen als Säule der Vielfalt bringen einzigartige Perspektiven ein, die verschiedene Aspekte beleuchten und die Diskussion bereichern.
Für mich ist es zudem wichtig, die Sichtbarkeit von Frauen in technischen Berufen und als Führungskraft zu erhöhen. Ich bin quasi selbst mein eigenes Testimonial und engagiere mich in unterschiedlichen Initiativen und Organisationen, die die Sichtbarkeit von Frauen in Technik erhöhen. Ich bin zum Beispiel als Mentorin für Studierende der Hochschule Esslingen aktiv, um sie bei ihrem Studium und beim Einstieg in den Beruf zu begleiten und ihnen spannende Perspektiven im technischen Bereich aufzuzeigen.
Kurzvita Mirjam Dreisörner
Seit 2022 arbeitet Mirjam Dreisörner als Head of Product Mangement bei Walter in Tübingen. An der Technischen Universität Bergakademie Freiberg hat sie Betriebswirtschaft studiert und ein Auslandsjahr an der Michigan Tech School of Business (Houghton, US-Staat Michigan) absolviert. Ihre berufliche Karriere hat sie bei einem Unternehmen für Schraub- und Verbindungstechnik gestartet, wo sie unter anderen den Standort Mexiko mit aufgebaut hat. 2011 ist Dreisörner ins strategische Produktmanagement von Bosch Rexroth Tightening Technology gewechselt, 2014 hat sie die Leitung des Prototyping Elektrische Steuerung bei Bosch übernommen, 2017 Produktmanagement und Geschäftsstrategie.
Video: Studierende bei Walter
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Mirjam Dreisörner
Head of Product Management
Walter AG
Tübingen
Tel. +49 7071 701-0
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