Titelthema
Industriearbeitsplatz von morgen
Der „Industriearbeitsplatz 2025“ beschäftigt die Investitionsgüterbranche. Die Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik (WGP) – ein Zusammenschluss von Maschinenbau-Professoren – hat 120 Werkzeugmaschinenhersteller und -betreiber befragt, wie die Arbeitsplätze in Fabriken in der Zeit von Industrie 4.0 aussehen werden. „Bislang wird zu Mensch-Maschine-Schnittstellen vor allem an technischen Fragestellungen geforscht, etwa an der Einbindung mobiler Endgeräte. Doch wie die konkrete Interaktion Mensch-Werkzeugmaschine aussehen wird, ist weitestgehend unbehandelt“, erläutert der Präsident der WGP, Prof. Eberhard Abele, die Motivation der WGP.
„Diese Befragung ist der erste Versuch, den Industriearbeitsplatz in einer digitalisierten und vernetzten Fabrik besser zu verstehen“, ergänzt Prof. Peter Groche, Leiter des Instituts für Produktionstechnik und Umformmaschinen (PtU) der TU Darmstadt, „es zeichnet sich bereits ab, dass die Erwartungen bezüglich der Autonomie der Maschinen in der Gesellschaft überzogen sind: Auch selbstlernende Systeme werden nicht ohne den Menschen funktionieren. Doch wir müssen unseren Mitarbeitern das notwendige Wissen über automatisierte und selbstlernende Maschinen vermitteln, um unseren Wettbewerbsvorteil zu sichern. Das wiederum bedeutet, dass wir Industrie 4.0 als eine Entwicklung der gesamten Gesellschaft begreifen müssen.“
Anzeige
Autonome Systeme
Die Entwicklung autonomer Systeme ist noch nicht so weit fortgeschritten, wie häufig vermutet wird. Das ist eines der Ergebnisse der Befragung, die in unterschiedlichen Branchen der Fertigungstechnologie und bei Unternehmen unterschiedlicher Größen durchgeführt wurde. „Bis zur Realisierung autonomer Systeme liegt noch ein weiter Weg vor uns“, fasst Groche zusammen, der die Arbeitsgruppe Werkzeugmaschinen/An-lagen leitete. Da noch keine im eigentlichen Sinn autonomen Systeme existieren, ist auch nicht bekannt, wie genau sie funktionieren werden. Daher wollen die WGP-Professoren zunächst sogenannte Use Cases entwickeln um zu erkunden, wie sich selbstlernende Systeme bei bestimmten Anwendungen verhalten. So soll beispielsweise geklärt werden, wie man das Lernen der Systeme realisieren und beschleunigen kann. Auch soll die Lernfähigkeit bezüglich bestehender Qualitätsnormen auf den Prüf-stand gestellt werden.
CFD-Simulation an einem Bohrwerkzeug: Die Arbeitsplätze in Fabriken werden sich nach der vierten industriellen Revolution deutlich verändern. Fotos: WGP
Funktionale Materialien: Zu Mensch-Maschine-Schnittstellen wird derzeit vor allem unter technischen Fragestellungen geforscht. Die konkrete Interaktion zwischen Mensch und Werkzeugmaschine ist weitgehend unerforscht.
Prof. Peter Groche, Institut für Produktionstechnik und Umformmaschinen (PtU) der TU Darmstadt
Prof. Eberhard Abele, Präsident der WGP
Bandbreite von Anforderungsprofilen
Autonome Fabriken werden nicht ohne den Menschen funktionieren, dessen sind sich die Produktionstechniker jedoch sicher. Nach Einschätzung der befragten Unternehmen wird sich das Anforderungsprofil für Maschinenbediener spreizen. Demnach werden geringer qualifizierte Mitarbeiter auch künftig benötigt, um mit den autonomen Produktionsanlagen zusammen zu arbeiten. Deutlich erweiterte Qualifikationen werden Maschinenbediener für das Überwachen und Trainieren der Lernprozesse der Maschine beziehungsweise Anlage benötigen. Mittlere Qualifikationen, die dem heutigen Facharbeiter entsprechen, werden hingegen an Bedeutung verlieren. Gleichzeitig entstehen entlang der Prozesskette neue, stärker IT-orientierte Betätigungsfelder, etwa für Aktor- und Sensornetzwerke sowie Datenanalysen. „Wir haben jedoch – ebenso wie für autonome Systeme – keine ausreichend klare Vorstellung davon, wie die Arbeit in einer autonomen Fabrik von Morgen aussehen wird. Auch hier müssen wir ansetzen und Szenarien entwerfen“, betont Groche, „mithilfe dieser Szenarien wollen wir die zukünftige Produktionsarbeit konkretisieren und damit den gesellschaftlichen Dialog erleichtern.“
Deutsche Professorinnen und Professoren von 40 Forschungsinstituten haben sich zur Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik (WGP) zusammengeschlossen. Sie vertreten 2000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Produktionstechnik. Die WGP engagiert sich dafür, die Bedeutung der Produktionswissenschaft für die Gesellschaft und für den Standort Deutschland in den Vordergrund zu rücken, und bezieht Stellung zu gesellschaftlich relevanten Themen von Industrie 4.0 bis zu altersgerechter Technik.
Wettbewerbsvorteile Deutschlands
Sollten eines Tages autonome Systeme dominieren, werden Produktivität und Qualität von ihnen bestimmt. Wie kann ein hochentwickeltes Land dann im internationalen Vergleich einen Wettbewerbsvorteil erzielen? „Die Entwicklung hin zur autonomen Produktion fordert die Gesellschaft ganzheitlich, wir müssen deswegen den Fokus über das Fabrikgebäude hinaus auf die weitere Umwelt richten“, mahnt Groche, beispielsweise auf die Infrastruktur des Landes und die unterschiedlichen Ausbildungssysteme. „Das Expertenwissen unserer Belegschaften wird international geschätzt. Das duale System zum Beispiel wird weltweit kopiert, und auch die universitäre Weiterbildung findet hohe Anerkennung. Gelingt uns eine frühzeitige Modernisierung der Ausbildungsinhalte, können wir mit dem Erfahrungswissen unserer hochqualifizierten Maschinenbediener schneller lernen und uns damit auch längerfristig einen Wettbewerbsvorteil sichern.“
Kontakt
Gerda Kneifel
Pressesprecherin Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik (WGP) Frankfurt am Main Tel. +49 69 756081-32 E-Mail senden