Thorsten Schmidt

Heller

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Unterwegs mit dem 360-Grad-Blick

Seit 1,5 Jahren ist Dr. Thorsten Schmidt CEO der HELLER Gruppe in Nürtingen. Der Heller-Chef spricht im Interview mit dem IndustryArena eMagazine über seine Ziele, seine Strategie und seine Erfahrungen bei dem Hersteller von Werkzeugmaschinen, den er in herausfordernden Zeiten gut für die Zukunft aufstellen möchte. Der 51-Jährige löste im Januar 2023 Reinhold Groß ab, der nach einem Jahr im Amt das Unternehmen verlassen hatte. Er beriet Heller bereits seit Juli 2022 als geschäftsführender Gesellschafter der Kerkhoff Group GmbH und war mehrere Jahre beim Werkzeugmaschinenhersteller DMG Mori in Bielefeld tätig. Darüber hinaus stand Schmidt an der Spitze der Nachwuchsstiftung Maschinenbau des Vereins Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken Heller wurde 1894 in Nürtingen als Handwerksbetrieb gegründet. Heute beschäftigt der global agierende Maschinenbauer 2600 Mitarbeiter. 2019 lag der Heller-Umsatz bei 724 Millionen, 2021 bei 380 Millionen und 2023 bei 588 Millionen Euro.


Während der AMB versammelt sich die Branche in Stuttgart. Der Freude des Wiedersehens steht eine schwierige Marktlage gegenüber. Wie schätzt man bei Heller die aktuelle konjunkturelle Situation im Maschinenbau ein?

Schmidt: Unsere Branche ist es gewohnt, mit konjunkturellen Zyklen umzugehen. Der Werkzeugmaschinenmarkt muss langfristig immer wieder mit diesen Schwankungen zurechtkommen, was jedoch auch Chancen bietet, die eigene Marktposition zu verbessern. Im Moment ist die Marktsituation, abgesehen von einigen Nischen, sehr herausfordernd. Die Ursache dafür liegt in der Komplexität der Lage, die sich deutlich von den letzten drei Jahrzehnten unterscheidet. Anders als früher gibt es heute eine Vielzahl von Ursachen, die sowohl mikro- als auch makroökonomische Faktoren umfassen. Hinzu kommt, dass die deutsche Regierung in dieser schwierigen Situation nicht die nötige Flexibilität und Geschwindigkeit bei Entscheidungen zeigt wie bei Exportgenehmigungen oder Förderungen für unsere Kunden.
Aus Sicht von Heller sind wir gut aufgestellt. Wir setzen die Neuausrichtung des Unternehmens erfolgreich fort und haben 2023 trotz stabiler Auftragseingänge über dem Branchendurchschnitt abgeschnitten. Dennoch merken wir, dass das Vertrauen unserer Kunden nicht ganz unseren Erwartungen entspricht.
Ich gehe davon aus, dass wir diese Zurückhaltung auch während der Fachmesse AMB erleben werden, auch wenn dies nicht unbedingt die Besucherzahlen betrifft. Fachmessen haben nach wie vor eine große Anziehungskraft, doch die Bereitschaft, Kaufentscheidungen zu treffen, wird während der AMB wahrscheinlich keinen großen Aufschwung erleben. Meiner Meinung nach wird sich diese Zurückhaltung bis ins nächste Jahr hinziehen, bevor wir eine deutliche Verbesserung der Marktsituation sehen.

Sie haben von der Neuausrichtung bei Heller gesprochen. Was ist darunter zu verstehen?

Schmidt: Wir haben es glücklicherweise geschafft, uns erfolgreich vom Verbrennungsmotor wegzubewegen und den Fokus auf neue Branchen zu legen. Das ist das Verdienst meiner Vorgänger. Das positive Feedback, das wir aus diesen neuen Branchen erhalten, bestätigt unsere Strategie. In Zukunft wird der Bereich Universalmaschinen ein wichtiger Pfeiler für uns sein. Auch wenn wir uns nicht von Projekten verabschieden, sehen wir uns gut aufgestellt im Zusammenspiel von Projekten, dem Geschäft mit Universalmaschinen und dem Bereich Aftersales. Diese Kombination hilft uns, Schwankungen in bestimmten Regionen oder Branchen auszugleichen.

Viele Nutzer der Heller-Maschinen sehen in einer höheren Produktivität eine Chance, auf die Herausforderungen zu reagieren. Dieser Linie scheint Heller mit der neuen Maschinengeneration F zu folgen. Was hat die Entwicklungsabteilung zustande gebracht?

Schmidt: Ein wichtiger Punkt ist, dass Heller viel aus der Zusammenarbeit mit den OEMs, also den Automobilherstellern, gelernt hat. Der Anspruch, hochproduktive Lösungen für ein anspruchsvolles Umfeld zu entwickeln, ist Teil der DNA von Heller. Diese Kompetenz konnten wir in unsere verschiedenen Maschinenkonzepte übertragen, und jetzt auch auf universelle Lösungen. Wir nutzen die Eigenschaften wie hohe Produktivität, Langlebigkeit, Präzision und Flexibilität, damit auch andere Abnehmer und Branchen davon profitieren können.

Werfen wir einen Blick auf die neueste Maschinengeneration fünfachsiger Bearbeitungszentren. Was sind die besonderen Merkmale der Baureihe F?

Schmidt: Die 5-Achs-Maschinen der Baureihe F mit Kopfkinematik sind speziell für die flexible Serienproduktion entwickelt worden. Der Fokus liegt auf hoher Zerspanungsleistung und Präzision. Zu den wichtigsten Merkmalen gehören der freie Späne-Fall, kurze Nebenzeiten, die optimale Automatisierbarkeit und die Kompatibilität zu den Baureihen H und FP, wodurch ein breites Spektrum an Werkstücken bearbeitet werden kann. Neu sind das Konzept der 5-Achs Schwenkkopf- und Gabelkopfkinematiksowie die Spindellösungen, die wir selbst herstellen. Weitere Technologien wie kombiniertes Fräsen und Drehen sowie ein schneller Drehrundtisch sind ebenfalls integriert. Ein Palettenwechsler ist bei uns bereits im Standard enthalten. Zusätzlich bieten wir technologische Bearbeitungskonzepte wie Power Skiving oder Schleifen an, um die Produktivität zu steigern und mehrere Arbeitsschritte zu kombinieren. Insgesamt arbeiten wir mit einem modularen Baukastensystem. Wir haben die F 6000 während der EMO 2023 vorgestellt, die F 5000 wurde bei unserem Open House in Nürtingen gezeigt und wird auch während der AMB 2024 präsentiert – dann allerdings inklusive dem neuen Regalmagazin. Zudem präsentieren wir die F 8000, die parallel zur AMB in den Markt eingeführt wird. Innerhalb von zwölf Monaten haben wir ein komplettes Maschinenkonzept mit einem hohen Anteil an gemeinsamen Komponenten auf den Markt gebracht. Diese neue Maschinenbaureihe ist uns wirklich gut gelungen.

Das ist eine ungewöhnliche Fertigungstiefe und gleichzeitig geht Heller in die Breite in Richtung Systemlösungen.

Schmidt: Wir sehen uns nicht nur als Hersteller von Werkzeugmaschinen, sondern ganz besonders als kompetenter Technologiepartner für unsere Kunden. Wir analysieren die spezifischen Bedürfnisse unserer Kunden und entwickeln daraus maßgeschneiderte, modulare Lösungen. Das ist für uns der umfassende 360-Grad-Blick.

Zum 360-Grad-Blick gehören auch Automatisierung und Roboterzellen. Wie stark sind diese gefragt?

Schmidt: Roboterzellen sind bei unseren Kunden sehr beliebt, weil sie zusätzliche Prozessschritte übernehmen können. Diese Flexibilität ist aktuell stark gefragt, was auch mit der Unsicherheit vieler Kunden zusammenhängt. Oft wissen unsere Kunden noch nicht, welche Teile sie in einem halben Jahr fertigen werden. Der Begriff „Job-Shop“ ist hier entscheidend. Roboterzellen können beispielsweise für die Vermessung von Werkstücken genutzt werden, wodurch bestimmte Prozessschritte aus der Maschine ausgelagert werden können, um die Produktivität im Bearbeitungsraum zu erhöhen. Themen wie Fachkräftemangel, automatisierte Fertigung ohne Personal (Lights-out-Manufacturing) und Dreischichtbetrieb spielen dabei eine wichtige Rolle. Für uns ist das Alltag. Ich schätze, dass wir fast 80 Prozent unserer Maschinen mit einer Automatisierungsschnittstelle verkaufen, die je nach Bedarf unterschiedlich ausgelegt werden kann.

Die personellen Engpässe führen sicherlich dazu, dass man Arbeit in die Maschine verlagern muss und die Flexibilität erhöht. Ist das der Türöffner für künstliche Intelligenz, also KI?

Schmidt: KI ist ein Thema, mit dem wir uns grundsätzlich beschäftigen, auch wenn wir sie bisher noch nicht als fertiges Produkt einsetzen. Wir nutzen KI aktuell in unserem modularen Baukasten, um die Genauigkeit und Lebensdauer verschiedener Komponenten durch Lernalgorithmen zu verbessern. Wir sehen KI als ein wichtiges Thema, das wir unseren Kunden aber nur dann anbieten, wenn es ihnen einen klaren Nutzen bringt. Wir werden KI gezielt einsetzen, um Produktivität und Präzision zu optimieren, und bisher funktioniert das schon sehr gut.

Sie haben im Zuge der Neuausrichtung weitere Kundenbranchen für Heller angesprochen. Was sind für Sie die spannendsten Branchen?

Schmidt: Wir möchten Materialien, die schwer zu bearbeiten sind, und komplexe Komponenten herstellen. Damit bewegen wir uns in den Bereichen Luft- und Raumfahrt sowie im Werkzeug- und Formenbau. Auch der allgemeine Maschinenbau ist interessant, da dort oft die Steifigkeit der Maschine eine wichtige Rolle spielt. Dadurch vergrößert sich der relevante Markt für Heller erheblich.

Dazu gehört vermutlich auch die Elektromobilität?

Schmidt: Elektromobilität ist für uns schon seit einiger Zeit ein wichtiges Thema. Unser Tochterunternehmen Wenzler konzentriert sich auf Werkzeugmaschinen für Strukturbauteile im Automobilbereich. Bei Elektroautos entfallen knapp 75 Prozent aller bearbeiteten Komponenten auf Strukturbauteile, daher liegt unser Fokus darauf. Außerdem können wir mit der Größe unserer Maschinen in diesem Bereich punkten.

Ein Stichwort bei Heller ist die „neue Einfachheit“. Wie wollen Sie diese in den Produkten und Prozessen konkret umsetzen?

Schmidt: Wir setzen auf schnellere und kompaktere Lösungen für unsere Kunden. Es ist nicht effizient, für jede kundenspezifische Lösung bei null anzufangen. Deshalb haben wir einen Baukasten entwickelt, der schon in der Angebotsphase hilft, Prozesse zu beschleunigen. Unser Produktbaukasten, der die4- und 5-Achs-Bearbeitungszentren umfasst und stark modular aufgebaut ist, passt sehr gut dazu. Dadurch wird auch die Austauschbarkeit von Komponenten verbessert. Anstatt mit dem Kunden Details wie die Farbe der Kabel zu festzulegen, arbeiten wir mit einem höheren Standardisierungsgrad. Wo es sinnvoll ist, setzen wir unser technologisches Know-how ein, um echten Mehrwert zu schaffen. Diese Transformation ist uns weitgehend gelungen und wird kontinuierlich weitergeführt.

Das klingt nach Maßanfertigung von der Stange?

Schmidt: Genau in diese Richtung geht es.

Welche Ziele verfolgen Sie mit der kürzlich eingegangenen Technologiepartnerschaft mit der Walter AG?

Schmidt: Mit der Kooperation wollen wir umfassende Kundenlösungen im Zerspanungsbereich entwickeln. Walter ist ein sehr kompetentes Unternehmen in der Werkzeugtechnologie. Heller möchte nicht mehr alles selbst entwickeln, sondern gezielt mit ausgewählten Partnern zusammenarbeiten. Ziel ist es, voneinander zu lernen und durch diese Kombination einen echten Mehrwert für die Kunden zu schaffen. nsere Lösungen, bei denen Werkzeugmaschinen und die passenden Werkzeuge für bestimmte Materialien oder Anwendungen kombiniert und getestet werden, sollen dem Kunden das Gefühl geben, alles aus einer Hand zu bekommen – auch wenn tatsächlich zwei Unternehmen dahinterstehen. Diese Partnerschaft, die auf tiefem gegenseitigem Vertrauen basiert, ermöglicht es uns, das Know-how von Walter bei den Werkzeugen mit unserem Wissen über Werkzeugmaschinen zu verbinden und dadurch den Kunden einen echten Vorteil zu bieten. Das könnte auch der Schlüssel für zukünftige Kooperationen sein.

Bietet Sandvik dafür die notwendige Freiheit?

Schmidt: Ich habe die Walter AG bisher als sehr eigenständig wahrgenommen, was die Entscheidungsfreiräume und die Entwicklung von Angeboten angeht. Daher sehe ich die Zugehörigkeit zur Sandvik-Gruppe eher als Vorteil.

Wenn Sie Ihren Blick auf die AMB richten – was zeigt Heller dort?

Schmidt: Wir sind prominent vertreten und zeigen unter anderem zwei Werkzeugmaschinenlösungen, beide mit fünf Achsen. Die F 5000 mit einer neuen Kopflösung in Kombination mit einem von uns neu entwickelten Regalmagazin. Kunden verlangen zunehmend nach Lösungen, die eine größere Anzahl von Werkzeugen aufnehmen können, um die Flexibilität zu erhöhen.

Wie viele Werkzeuge passen in das Regalmagazin?

Schmidt: Maximal lassen sich mit unserer Lösung 489 Werkzeuge unterbringen.

Und welches ist die andere Werkzeugmaschine am Stand?

Schmidt: Das ist eine HF 3500 mit einer Automatisierungslösung. Zudem zeigen wir zum ersten Mal eine Ausbildungsmaschine, die ein neues Design erhalten hat. Es handelt sich um eine voll funktionsfähige 5-Achs-Fräsmaschine, die auf einer sehr kleinen Stellfläche Platz findet und mit modernen Features ausgestattet ist. Das Thema Ausbildung liegt uns sehr am Herzen. Diese Maschine wird auch bei uns in der Ausbildungsabteilung hergestellt. Damit leisten wir einen Beitrag zur Förderung des Nachwuchses und zur Unterstützung von Universitäten, Schulen und Ausbildung. Wir hoffen, dass die Maschine großen Anklang findet.
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