Frank Frick

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Mit Eignungstest
zum richtigen Job

Fast acht Millionen Menschen leben in Deutschland, die in Teilzeit, als geringfügig Beschäftigter oder als Zeitarbeitnehmer mit einem niedrigen Einkommen zufrieden sein müssen. Viele haben kaum eine Chance, eine Beschäftigung zu finden, die ihrem Können entspricht. Gleichzeitig vernachlässigt die Gesellschaft Beschäftigungspotenzial, das sie in Zeiten des Fachkräftemangels dringend benötigt. Die Bertelsmann-Stiftung hat ein Instrument entwickelt, um Handlungskompetenzen für Personen ohne formale Qualifikation zu erfassen. Über das Projekt „Myskills“ zur Erkennung beruflicher Kompetenzen sprach Georg Dlugosch, Chefredakteur des IndustryArena eMagazines, mit Frank Frick, dem zuständigen Direktor bei der Bertelsmann-Stiftung.

Woran kann man sich bei den Zahlen zum Facharbeitermangel orientieren?

Frick: Die Statistiken zum Fachkräftemangel sind nicht immer ganz eindeutig, denn nicht alle Unternehmen melden freie Stellen und Ausbildungsplätze an die Arbeitsagentur. Und auch die Bewerber suchen oft selbständig. Es ist jedoch eindeutig, dass es Engpässe gibt. Um diese zu überwinden, müssen Unternehmen flexibel sein. So reicht es nicht mehr, zwingend einen deutschen Meister- oder Gesellenbrief vorauszusetzen. Das wäre zu kurz gegriffen. Wir haben zwar ein duales Ausbildungssystem, um das uns viele zurecht beneiden. Aber es gibt dieses duale Ausbildungssystem eben nur in drei Ländern der Erde. Das bedeutet, alle Menschen, die aus einem der anderen 250 Länder stammen, werden in Deutschland automatisch als Hilfsarbeiter eingestuft, weil es in ihren Heimatländern andere Berufsbilder gibt und diese nicht dual – in Betrieb und Berufsschule – erlernt werden. Denen fehlt natürlich ein deutscher Ausbildungsnachweis, aber sie verfügen zum Teil über jahrelange Berufserfahrung. Weil wir bisher nicht in der Lage waren, diese Kompetenzen und Berufserfahrung systematisch zu erfassen und zu überprüfen, sind diese Menschen in Deutschland oft fachfremd und unterqualifiziert beschäftigt. Der Fachkräftemangel könnte erheblich gemindert werden, wenn wir dieses Potenzial nutzen. An dieser Stelle setzt Myskills an, und testet, in welchen Handlungsfeldern eines Berufs jemand über Kompetenzen verfügt und dort produktiv eingesetzt werden kann. Denn bestimmte Handlungsfelder eines deutschen Berufs sind in anderen Ländern irrelevant.

Wo liegen die Unterschiede?

Frick: Beispielsweise lernt ein Hochbaufacharbeiter in Syrien nicht, wie man Häuser dämmt – beim dortigen Klima ist diese Kompetenz nachvollziehbarerweise nicht gefragt. Ebenso hat jemand, der in Afrika Autos repariert hat, oft noch keine Fehlerdiagnose per Computer durchgeführt, weil in der Regel alte Autos gewartet wurden. Der Hochbaufacharbeiter aus Syrien kann jedoch mauern und verputzen. Und der Automechatroniker aus Ghana kennt alle Standardwartungsarbeiten und kann Verschleißteile reparieren oder austauschen. Wir können es uns einfach nicht leisten, diese Kompetenzen zu ignorieren. Bisher passiert genau das jedoch häufig, weil das Anerkennungssystem nur greift, wenn jemand annähernd den ganzen Beruf erlernt hat und dies nachweisen kann. Deswegen haben wir überlegt, wie man die vorhandenen Kompetenzen systematisch erfassen und verlässlich überprüfen kann, und haben einen Test entwickelt, der fachliche Kompetenzen in den einzelnen Handlungsfeldern eines Berufes erfasst.

Dann muss ein Bewerber zuallererst herausfinden, zu welchem Beruf er gehört?

Frick: Genau das ist der erste Schritt – denn wer aus Syrien kennt schon die 340 deutschen dualen Ausbildungsberufe. Daher haben wir zunächst ein Instrument entwickelt mit dem ein Bewerber zeigen kann, welche Teile eines Berufs er kennt: www.meine-Berufserfahrung.de Dadurch wird sichtbar, wo jemand schon relevante Erfahrungen in dem Beruf gemacht hat. Dies ist nur eine Selbsteinschätzung. Das heißt, wir wissen damit noch nicht, welche Kompetenzen wirklich vorhanden sind, da reicht die Selbsteinschätzung eben nicht aus. Dafür ist ein verlässliches, valides, hartes Testinstrument notwendig. Dieses Testinstrument ist Myskills.

Wer kann sich bei Myskills helfen lassen?

Frick: Ich bin vom Ergebnis total überrascht worden. Denn ursprünglich haben wir gedacht, es sind vor allem Menschen, die als Migranten nach Deutschland kommen, weil sie das deutsche Ausbildungssystem nicht kennen und nicht nach den deutschen Ausbildungscurricula gelernt haben. Aber wir haben auch ganz viele Fälle, bei denen Menschen aus Deutschland nicht zu Ende gelernt haben, aber 15 Jahre lang in dem Beruf gearbeitet haben. Wer beispielsweise Bäcker gelernt hat, dann zu einem Autohersteller gegangen ist, der bekommt dafür nie einen Qualifikationsnachweis, obwohl er zwei Handlungsfelder des Kfz-Mechatronikers beherrscht. Für diese Leute gibt es bisher auch keine Möglichkeit, ihre Kompetenzen nachzuweisen. Das merken sie bei Bewerbungen, denn sie erhalten oft noch nicht einmal eine Einladung, weil sie in dem Beruf keinen Qualifizierungsnachweis beilegen könnten.

Noch überraschender ist die dritte Gruppe. Folgender Fall ereignete sich neulich bei einem Jobcenter: Bei einem Maler, der vor 25 Jahren seine Ausbildung beendet hatte, kam in dem Myskills-Test heraus, dass er nur in einem einzigen der sechs Handlungsfelder seines Berufs gut war. Auf Nachfrage kam heraus, dass er immer nur mit diesem einen Handlungsfeld zu tun hatte, alles andere hatte er nie angewendet oder verlernt. So kann man mit Myskills überprüfen, welche Kompetenzen noch up to date sind. Der Test hilft also, die Kompetenzen von drei Zielgruppen zu überprüfen: ungelernten Migranten, ungelernten Deutschen und Menschen, deren Qualifikation veraltet ist.

Die Bundesagentur für Arbeit und die Bertelsmann-Stiftung haben den Test Myskills entwickelt. Foto: Bertelsmann

Wie wird der Test wahrgenommen?

Frick: Wir sind erst mit acht Berufen unterwegs. In den nächsten Monaten kommen weitere 22 Berufe. Richtig entfalten wird sich das Instrument daher im Jahr 2019. Dann werden sicherlich mehrere tausend Tests pro Monat durchgeführt werden. Und die Unternehmen sehen dann, in welchem Handlungsfeld ein Bewerber über Kompetenzen verfügt und wo er einsetzbar ist.

Die Jobcenter sind mit im Boot. Wie lernen die Unternehmen dieses Instrument kennen?

Frick: Myskills steht flächendeckend allen Arbeitsagenturen und Jobcentern zur Verfügung. Die Unternehmen müssen es auch kennenlernen. Wenn der Arbeitsmarkt geräumt ist, macht es wenig Sinn, Stellen für Gesellen auszuschreiben. Sehr häufig sind Kompetenzen in bestimmten Feldern eines Berufes ausreichend für die ausgeschriebene Stelle. Dann sollten Unternehmen gezielt die relevanten Handlungsfelder benennen. Das erst eröffnet die Chance, die Potenziale zum Beispiel von Zugewanderten oder Quereinsteigern zu nutzen.

Im Moment ist der übliche Weg, dass Kandidat und Unternehmen über die Arbeitsagentur zueinander finden?

Frick: Genau. Wir können diesen Test nicht ins Internet stellen, denn wir müssen für eine gesicherte Testsituation sorgen. Der Grund ist einfach. Wenn Unternehmen ein Testergebnis bekommen, dann wollen sie sicher sein, dass wirklich dieser Bewerber den Test durchgeführt hat. Deshalb wird der Test nur unter Aufsicht und ohne technische Hilfsmittel oder sonstige Unterstützung absolviert. Dadurch wird das Testergebnis belastbar. Es kann nicht gemogelt werden. Zudem bilden die etwa 125 Aufgaben, die von Fachexperten – also Meistern, Ausbildern, Prüfungsausschussmitgliedern, Innungsvertretern – entwickelt wurden, realistische betriebliche Handlungssituationen ab. Die Tests haben dadurch ein hohes Niveau, aber sie sind zu schaffen. Deshalb vergeben wir ein gestuftes Ergebnis mit einer klaren Angabe, wer in einem Handlungsfeld Kompetenzen beispielsweise eines Facharbeiters besitzt oder eher als Hilfskraft einsetzbar ist.

Der Test macht berufliches Wissen sichtbar. Er soll am Arbeitsmarkt die Chancen der Menschen erhöhen, die ihre Kompetenzen kaum belegen können. Foto: Bertelsmann

Wie gehen die Arbeitsagenturen damit um?

Frick: Am einfachsten ist es, wenn bereits konkrete Anforderungen eines Unternehmens für die gesuchten Handlungsfelder vorliegen.

Arbeitsagentur oder Jobcenter testen ihre Kandidaten mit Berufserfahrung. Falls die Qualifikation nicht ausreicht, kann gegebenenfalls eine gezielte Weiterbildung vereinbart werden (Teilqualifikation). Dann hat das Unternehmen jemanden genau für die Bereiche, für die es neue Mitarbeiter sucht.

Was kann man mit dem Testergebnis anfangen?

Frick: Der Bewerber kann das Testergebnis auch unabhängig von Vermittlungsvorschlägen der Arbeitsagentur für Initiativbewerbungen nutzen.

Wirkt sich das positive Testergebnis auch auf die Vergütung aus?

Frick: Für eine Aussage dazu ist es noch zu früh. Wir wissen, dass der Gesellenbrief als Zeugnis das Einkommen um etwa zehn Prozent erhöht im Vergleich zu einem Arbeitnehmer, der dieselben Aufgaben erledigt, aber keinen Gesellenbrief besitzt. Daher hoffen wir, dass jemand mit einer Teilqualifikation dann auch in eine besser bezahlte und sichere Position finden kann. Jedenfalls erhöht Myskills die Chance, dass Unternehmen Arbeitskräfte finden, die ihnen helfen, und dass Menschen ein vernünftiges Auskommen und auch eine nachhaltige Beschäftigung haben – ein Vorteil für das Unternehmen, für den Einzelnen und dadurch letztlich auch für die Gesellschaft.

Welche Relevanz hat das Problem in Deutschland?

Frick: Wir haben vor ein paar Jahren eine Untersuchung durchgeführt, der zufolge Menschen ohne den formalen Qualifikationsnachweis sowohl schlechter bezahlt werden als auch schneller arbeitslos werden und schwerer eine neue Stelle finden. Im Umkehrschluss heißt es für die Unternehmen, dass sie solche Bewerber gar nicht erst einladen. Dann hat der Bewerber keine Chance zu zeigen, was er drauf hat. Wir haben bei den Unternehmen weiter gefragt, was die wichtigste Kompetenzquelle im Betrieb ist: der formale Nachweis, die nicht formal erworbene Kompetenz oder das informell am Arbeitsplatz Gelernte. Der Trend seit einigen Jahren ist eindeutig: Mit deutlichem Abstand ist das informell Gelernte die wichtigste Kompetenzquelle im Betrieb. Der Grund dafür ist, dass die ursprüngliche Ausbildung zwar ein gutes Fundament ist, aber die Welt sich mittlerweile so schnell verändert, dass das ständige Dazulernen einen extrem hohen Stellenwert besitzt. Von daher ist es absurd, dass wir am Arbeitsmarkt keine Instrumente haben, um informell erworbene Kompetenzen zu messen. Mit diesem Projekt wird dies nun möglich.

Arbeitsagenturen und Jobcenter bieten den Test Myskills ab 2019 für 30 Berufe in jeweils sechs Sprachen an. Foto: Bertelsmann

Ist das in Zeiten der Digitalisierung bedeutsamer?

Frick: Richtig, und die Digitalisierung macht die Kompetenzmessung leichter. Ansonsten müssten wir jeden Bewerber drei Tage mit einem Meister in der Werkstatt einschließen, um zu überprüfen, was er kann. Das kann niemand bezahlen. Digitale Werkzeuge haben einen großen Vorteil.

Wie aktuell ist die Berufsausbildung?

Frick: Wir haben Berufe, die seit mehr als 20 Jahren keine Reform der Berufsausbildung erfahren haben. So wird beispielsweise beim Ausbaufacharbeiter gefordert, dass Mauern mit Wasserwaage und Lot gezogen werden. Darüber lacht man auf einer Baustelle, weil sie eine digitale Wasserwaage haben und kein Lot mehr benötigen. Wir haben in unserem Test durchgehend aktuelle Ausbildungsfragen.

Was ist das Anliegen von Bertelsmann?

Frick: Aus- und Weiterbildung ist ein strategisches Schwerpunktthema. In Zeiten schneller Technologieentwicklungen wollen wir einerseits den Menschen die Möglichkeit eröffnen, anschlussfähig zu bleiben, und andererseits die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft im internationalen Wettbewerb stärken.

Interessant sind auch die aktuellen Zahlen zur Arbeitsmobilität: Vier Jahre nach Abschluss der dualen Berufsausbildung sind 22 Prozent der Arbeitnehmer völlig fachfremd und 38 Prozent teilweise fachfremd beschäftigt. Nur 40 Prozent arbeiten noch in dem erlernten Beruf. Daraus wird ersichtlich, wie schnell sich Anforderungen und Kompetenzprofile ändern – und daran muss sich die Kompetenzerfassung und -entwicklung anpassen.

Daher haben wir als Stiftung die Idee für den Myskills-Kompetenztest entwickelt. Die Arbeitsagentur hat die Idee dankbar aufgenommen. Denn angesichts der Zuwanderung und nahezu fünf Millionen Geringqualifizierten am Arbeitsmarkt werden solche neuen Wege der Identifikation von Kompetenzen immer wichtiger.

Titelbild: Bertelsmann

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