Die produzierende Industrie ist heute immer noch in hohem Maße abhängig von weltumspannenden Logistikketten, fossiler Energie und seltenen Rohstoffen. Globale Krisen wie der Klimawandel, die Coronapandemie und die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine zeigen zudem, dass die Zukunft Unternehmen weit stärker fordern kann, als nur politisch festgelegte Nachhaltigkeitsziele zu erfüllen oder Lieferengpässe einzelner Branchen zu bewältigen. Wie die nächsten Schritte hin zu einer Kreislaufwirtschaft aussehen könnten, die Unternehmen unabhängiger von fossilen Energieträgern wie Öl, Gas und Kohle machen kann, wollen das Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen und das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT während des 31. AWK am 11. und 12. Mai 2023 im Eurogress Aachen und digital erörtern.
Unternehmen zu mehr Resilienz und Sicherheit zu verhelfen und gleichzeitig einen Beitrag dazu zu leisten, die weltweiten Emissions- und Klimaziele zu erfüllen, ist Ziel der renommierten Aachener Konferenz für die Produktionstechnik. Das Leitthema des AWK’23 – Empower Green Production – steht für die Bestrebungen der Aachener Forscherinnen und Forscher um das Professorenteam Robert Schmitt, Thomas Bergs, Christan Brecher und Günther Schuh, die Industrie bei der dringend notwendigen Transformation hin zu einer grünen Produktion zu unterstützen.
In vergangenen Ausgaben der Konferenzreihe zeigten WZL und Fraunhofer IPT schon in den 2010er Jahren an Beispielen erfolgreicher Forschungs- und Industrieprojekte, welche Chancen das »Internet of Production« (IoP) durch umfassende Vernetzung von Maschinen und Anlagen bieten kann. Das AWK‘21 befasste sich in der Folge ausführlich damit, wie die gewonnene Datenbasis des IoP als Grundlage für ein »Internet of Sustainability« dienen kann. Der nächste logische Schritt, so sehen es die Aachener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, bestehe nun darin, diese Ressourcen nicht mehr nur wie früher zur Steigerung der Produktivität, sondern vor allem für die Transformation hin zu einer zirkulären Produktion zu nutzen. Das AWK'23 soll zeigen, welche Technologien und Strategien diese Transformation fördern werden, wie Unternehmen aus der Fülle an Methoden ihre individuellen Werkzeuge für den Wandel auswählen können, und bei welchen Herausforderungen die angewandte Produktionsforschung gezielt unterstützen kann.
Rasch handeln: Die Neubewertung der industriellen Produktion hat begonnen
»Wir haben nicht so schrecklich viel Zeit, uns zu unterhalten, was man machen könnte, denn es fallen eben sehr viele Dinge zusammen«, erklärt Professor Robert Schmitt, Lehrstuhlinhaber am WZL und Bereichsleiter am Fraunhofer IPT, der in diesem Jahr das Organisationskommittee des AWK leitet. Es gehe nicht nur um rein wirtschaftliche Fragen, sondern tatsächlich auch um den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Es sei nicht allein damit getan, CO2 zu reduzieren, Schmitt sieht Forschung und Industrie auch in der Verantwortung für eine stabile Gesellschaft und ist überzeugt, dass gerade die industrielle Produktion durchaus als stabilisierender Faktor wirken könne.
Die Veranstalter von WZL und Fraunhofer IPT haben es sich deshalb zum Ziel gesetzt, den Blick in diesem Jahr noch genauer auf die Möglichkeiten zu fokussieren, wie Unternehmen mithilfe von Produktionsdaten entlang der gesamten Wertschöpfungskette nachhaltiger und gleichzeitig resilienter wirtschaften können. Transparenz über den gesamten Produktlebenszyklus und die einzelnen Stufen der Wertschöpfung zu schaffen, kann dabei unterstützen: So sind beispielsweise führende Unternehmen bereits dazu übergegangen, anhand aussagekräftiger Kennzahlen die Leistungsfähigkeit von Fertigungsprozessen und Prozessketten neu zu bewerten und dabei auch Nachhaltigkeitskriterien ein deutlich höheres Gewicht zu geben.
Jungbrunnen für komplexe Produkte: Datenanalysen und Re-Assemby verlängern die Lebensdauer durch regelmäßige Updates
Ein Dreh- und Angelpunkt für die industrielle Produktion ist das Erreichen einer ganzheitlichen Kreislaufwirtschaft. WZL und Fraunhofer IPT sehen hier neben lebensverlängernden Maßnahmen der rein technisch bedingten Produktnutzungsdauer auch die Chancen, die – gerade bei komplexen Produkten – regelmäßige Produkt-Updates bieten können. So lassen sich nur Reparaturen, sondern auch Designänderungen und gänzlich neue technische Funktionalitäten, die Kundenwünschen und technologischen Weiterentwicklungen folgen, im Rahmen einer sogenannten »Re-Assembly Factory« umsetzen. Alte Produktgenerationen werden remontiert und durch wertsteigernde Maßnahmen für einen nächsten Produktlebenszyklus vorbereitet.
Die Aachener Forscherinnen und Forscher gehen mit einem Refurbishment weiter als Recycling. Dieser Ansatz geht von der Seite der Entwicklung und Entstehung aus, und nicht – wie bisher – vom Ende der Nutzungsdauer und der Verwertung unbrauchbar gewordender Produkte. Die Forschenden betonen, dass dieser Ansatz nicht nur eine passende Produktstruktur verlangt, die die neue Modularität berücksichtigt, sondern auch neue Prozesse für das Re-Assembly in der Fabrik und bereits bei der Herstellung von Betriebsmitteln ansetzen muss. Die digitale Produktakte, ebenso wie die digitale Werkzeugakte, die Informationen über Zustand des Produkts beziehungsweise des Werkzeugs umfasst und im Idealfall sogar Kundenwünsche einbezieht, wird damit zum Befähiger für eine nachhaltige Produktion.
Doch nicht alleine die Wieder- und Weiterverwendung von Produkten zahlt auf das Nachhaltigkeitskonto ein: Ebenso ist der Energieverbrauch während der Herstellung und Nutzungsdauer in die Betrachtungen einzubeziehen. Dafür liefern Simulationen auf Grundlage von Digitalen Zwillingen gute Prognosen, sogar über die eigentliche Lebenszeit der einzelnen Produkte hinaus. So kann sich beispielweise herausstellen, dass ein Produkt zwar im laufenden Betrieb einen relativ hohen Energieverbrauch aufweist, der frühe Austausch sich aber in der Gesamtbilanz trotz vollständigem Recycling nicht lohnt. Andersherum kann eine stoffliche Verwertung gegenüber dem Weiterbetrieb durchaus sinnvoll sein, wenn sich aus den einzelnen Bestandteilen neue, energieeffizientere Produkte herstellen lassen, die während des Gebrauchs wiederum zu größeren Einsparungen beitragen. »Solch eine Ende-zu-Ende Betrachtung und Lebenszyklus-Optimierung über das Gesamtsystem hinweg kann mit geeigneten Technologien und unter Einsatz Digitaler Zwillinge 40 Prozent oder mehr der Energie oder des CO2 einsparen“, erklärt Dr. Michael Kaever, Head of Technology Management Motion Control beim AWK-Co-Host Siemens AG seine Perspektive auf die Zukunft der nachhaltigen Produktion.
Gemeinsam mit dem weiteren Konferenzpartner Hexagon AB sowie Referentinnen und Referenten aus einflussreichen Unternehmen wie Ericsson, Robert Bosch GmbH oder Thyssenkrupp Steel Europe AG sowie dem Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) möchten die Forschungseinrichtungen diese und andere Wege zur Neubewertung und Transformation industrieller Prozesse und Produkte aufzeigen. »Ich würde mir wünschen, dass ein Teil der Diskussionsergebnisse des AWK umgesetzt wird in einen tatsächlichen Aktionsplan, der klar und deutlich zeigt, wie es weitergehen soll«, hofft Schmitt und spricht damit auch für seine Kolleginnen und Kollegen an den Aachener Instituten.
AWK’23: Hybrider Informations-Hub für die Trends der Produktionstechnik
Das Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquium ist Netzwerktreffen und Informations-Hub zugleich. Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterschiedlicher Disziplinen tauschen sich traditionell alle drei Jahre in Aachen über die Produktion von morgen aus. Begleitet durch ein international hochkarätig besetztes Vortragsprogramm und mit thematischen Besichtigungstouren durch die gastgebenden Forschungseinrichtungen bietet die Konferenz auch im Mai 2023 wieder einen umfassenden Einblick in die Trends der angewandten Forschung und Entwicklung für Fach- und Führungskräfte aus Industrie und Wissenschaft.
In zwei mal zwei parallelen Vortragssessions können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich aus erster Hand über die Ergebnisse angewandter Forschung und die praktische Umsetzung in der Produktion informieren. Dafür wurden interdisziplinäre Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft, Entwicklung und Management führender Unternehmen unterschiedlicher Branchen eingeladen, die gemeinsam in Experten-Arbeitskreisen die Vortragsthemen erarbeiten.
Die vier Themenblöcke umfassen jeweils mehrere Vorträge zu leistungsfähigen, jederzeit verfügbaren und resilienten Dateninfrastrukturen, zu Technologien und Prozessen für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft, zu Modellbildung und Analysen mit dem Ziel einer ressourcenschonenderen Fertigung sowie zu Szenarien und Geschäftsmodellen für eine nachhaltige Wertschöpfung.
Zusätzlich zur gewohnten Präsenzveranstaltung gibt es zum 31. AWK im Aachener Eurogress auch wieder eine digitale Übertragung weiter Teile des Veranstaltungsprogramms, erstmals ergänzt durch weitere exklusive Programmpunkte und Networking-Formate speziell für die online Teilnehmenden. Der Einsatz einer weltweit verfügbaren Online-Plattform stellt sicher, dass nicht nur die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort in Aachen, sondern auch ein internationales Fachpublikum der Veranstaltung auf nachhaltige Weise beiwohnen kann.