Messprozesse unterliegen stets einer Unsicherheit, so dass die aus den Messdaten abgeleiteten Aussagen ebenfalls unsicher sind. Ist die Messunsicherheit bei einer Produktprüfung zu hoch und liegt das betrachtete Merkmal nahe an den Spezifikationsgrenzen, ist die Entscheidung, ob das Merkmal innerhalb oder außerhalb der Spezifikation liegt, risikobehaftet. So können korrekt produzierte Teile irrtümlich aussortiert, oder fehlerhafte Teile fälschlicherweise freigegeben werden.
Da ohne Kenntnis der Messunsicherheit bei der Messdatenerhebung das Risiko von Fehlentscheidungen nicht bestimmt und damit nicht kontrolliert werden kann, sind Messwerte ohne Messunsicherheitsangabe wertlos. Um die Messunsicherheit zu bestimmen, wird das sogenannte Modell der Messung benötigt. Mit diesem Modell wird die Messunsicherheit basierend auf den natürlichen Schwankungen der Eingangsgrößen bestimmt. Systematische Abweichungen innerhalb des Messprozesses werden bei der Bestimmung der Messunsicherheit berücksichtigt, sofern diese nicht zu eliminieren sind. Abweichungen zwischen Realität und Modell im Sinne eines Modellfehlers, werden bei der Bestimmung der Messunsicherheit jedoch oftmals nicht berücksichtigt. Das führt dazu, dass die angegebene Messunsicherheit unter Umständen zu groß abgeschätzt wird und Kosten durch die fehlerhafte Angabe der Fertigungstoleranzbreite entstehen.
Dieses Problem soll zukünftig gelöst werden. Im Forschungsprojekt „RENUMBER“ am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen University wird in den kommenden zwei Jahren ein Verfahren entwickelt, das die Differenzierung zwischen Messunsicherheit und Modellfehler adressiert. Das Verfahren basiert auf einem Bayes’schen Ansatz und ist in vier Schritte eingeteilt: die Auswahl der a-priori-Verteilung der Modell- und Fehlerparameter, die Modellbildung mittels Machine Learning unter Beachtung der a-priori-Verteilungen, die Differenzierung zwischen Modellfehler und Unsicherheit mit Hilfe des Bayes’schen Ansatzes und die Validierung der berechneten Angaben.
Um das Verfahren für die praktische Anwendung greifbar zu machen, werden die einzelnen Schritte zu einem Gesamtverfahren zusammengefasst und in einer frei zugänglichen Programmiersprache umgesetzt. Das Verfahren wird anhand mehrerer Beispiel-Messprozesse validiert, um eine Anwendbarkeit im industriellen Kontext zu gewährleisten.
Förderhinweis:
Das Forschungsprojekt „RENUMBER“ wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert (GZ: SCHM 1856/122-1). Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.