Die Werkzeugstandzeit spielt eine wichtige Rolle bei der Produktivitätssteigerung eines Zerspanprozesses. Physical Vapour Deposition (PVD)-beschichtete Zerspanwerkzeuge sind seit Jahren Stand der Technik und stellen eine vielversprechende Lösung zur wirtschaftlichen Realisierung der Hochleistungszerspanung (HPC) von Vergütungsstählen wie 42CrMo4 und C45 dar. Die Werkzeugstandzeit kann durch eine beanspruchungsgerechte Auslegung der Werkzeugmikrogeometrie, der Beschichtung und des Zerspanprozesses erhöht werden. Der Verschleißprozess von beschichteten Werkzeugen ist jedoch ein System komplex zusammenhängender physikalischer Vorgänge, was die Gestaltung wirtschaftlicher Zerspanwerkzeuge und -prozesse extrem erschwert. Die kontinuierliche Beschichtungs- und Schneidstoffdegeneration während des Zerspanprozesses führt zu einer instationären thermomechanischen Beanspruchung von PVD-beschichteten Zerspanwerkzeugen. Die bisherigen wissensbasierten Versuche, den Verschleiß beschichteter Zerspanwerkzeuge mittels deterministischer Verschleißmodelle (Whitebox-Modelle) vorherzusagen, erwiesen sich als unzureichend präzise. Diese Modelle gehen von einer stationären thermomechanischen Belastung aus und lassen den Übergang von linearem zu progressivem Verschleiß unberücksichtigt. Andererseits können datengetriebene Blackbox-Modelle komplexe Korrelationen realitätsnah abbilden, jedoch bleibt die zugrundeliegende Physik ungeklärt. Zudem ist ihre Robustheit bei veränderten Randbedingungen unsicher. Daher ist eine exakte Vorhersage der Werkzeugstandzeit und eine wissensbasierte Qualifizierung beschichteter Zerspanwerkzeuge für den Einsatz bei anspruchsvollen Zerspanprozessen nach wie vor nicht möglich.
Die bestehende Wissenslücke soll im Rahmen von praktischen Untersuchungen im Gemeinschaftsforschungsprojekt „GreyWearHT: Entwicklung eines Greybox-Modells zur Verschleißprognose PVD-beschichteter Hartmetallwerkzeuge bei der Hochleistungsdrehbearbeitung von Stählen“ am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Oberflächentechnik IOT der RWTH Aachen in den kommenden drei Jahren geschlossen werden.
Das übergeordnete Ziel dieses Forschungsvorhabens ist die Entwicklung eines Greybox-Modells, um die Standzeit und Restlebensdauer PVD-beschichteter Hartmetallwerkzeuge bei der Hochleistungsdrehbearbeitung von Stählen treffsicher vorherzusagen. Dafür wird eine Kombination aus analytischen Whitebox-Modellen zur Bestimmung der instationären thermomechanischen Beanspruchungen im Zerspanprozess und datenbasierten Blackbox-Modellen angestrebt. Ein besonderes Augenmerk liegt zudem auf der Erforschung des Einflusses der temperaturabhängigen Schichteigenschaften auf den Verschleißfortschritt.
Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens werden TiAlCrSiN- und TiAlCrSiON-Schichten mit verschiedenen Dicken auf Wendeschneidplatten abgeschieden und charakterisiert. Anschließend erfolgt die trockene Schruppdrehbearbeitung der Vergütungsstähle C45 und 42CrMo4 mit den beschichteten Werkzeugen. Der Fokus liegt hierbei auf der In-Situ-Erfassung der Prozesszustands-größen, insbesondere in der Übergangszone von linearem zu progressivem Werkzeugverschleiß. Die gewonnenen experimentellen Daten bilden die Grundlage für eine umfassende quantitative Werkzeugschadensanalyse. Parallel dazu werden gezielte Analogiezerspanversuche durchgeführt, um ein präzises Whitebox-Modell zu entwickeln, dass die thermomechanische Werkzeugbelastung bei verschiedenen Prozesseinstellgrößen genau ermittelt. Schließlich wird ein Greybox-Modell als Kombination der etablierten Black- und Whitebox-Modelle entwickelt, um eine treffsichere Prognose zur Werkzeugverschleißentwicklung zu ermöglichen.
Förderhinweis: Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – BE 2542/160-1
Kontakt:
Zongshuo Li, M.Sc.
Tel.: +49 241 80-20522
Email: z.li@wzl.rwth-aachen.de